Innernächte
Erst nachdem ich geträumt hatte, daß mir mein seit nun bald neununddreißig Jahren toter Vater gut gelaunt auf dem Balkon erschienen war, erfuhr ich von dem Volksaberglauben, daß Träume zwischen den Jahren eine besondere Bewandtnis für das ganze folgende Jahr hätten. Stichtag für besondere Bewandtnis sei meinem Gewährsmann zufolge Epiphanias, der sechste Januar. Bis dahin würden von Weihnachten an auf die Tage die Rauhnächte folgen, in denen man Bedeutsames träume. Zuvor hatte ich eine Einladungskarte für eine Ausstellung in der Galerie Dackxs geträumt und nahm daher den Volksaberglauben gerne an, denn ich hätte gerne eine Ausstellung in der Galerie Dackx, auf deren Namen ich stolz bin, da ich ihn mir Traume selbst erdacht hatte. Erst später fiel mir auf, daß mein jenseitiger Vater – »dead Daddy« nenne ich ihn nur ausnahmsweise, um mich zu beruhigen – im Traum versucht hatte, mich mit schelmischen, lockenden Blicken zu sich hinüberzuziehen, was mir durchaus gefiel, denn seine Nähe ist mir stets angenehm gewesen.
In der darauffolgenden Rauhnacht habe ich vom Weltuntergang geträumt. Man hatte sich zwar herbeigelassen, mir eine gewisse Ehre zu erweisen, indem man einige meiner Schriftstücke etwas zu großartig für alle Welt sichtbar in den bedeckten Himmel projizierte. Aber ich wußte nicht, was ich davon halten sollte, denn gefragt hatte mich niemand. Überdies schienen mir einige Stellen nicht ganz und gar auch für die minderjährige oder auch nur empfindlichere Öffentlichkeit geeignet zu sein, jetzt wo sie so groß und golden am Himmel prangten. »Ob man mich wohl dafür belangen kann?«, kam es mir in den Sinn, als auch schon ein abgesprungenes Rotorblatt vom nahegelegenen Windkraftwerk angepoltert kam und das ganze Haus, aus dem ich gerade hervorgetreten war, um den Himmel zu betrachten, niederwalzte. »Glück gehabt«, dachte ich noch, als die Explosionen näherkamen und eine Druckwelle mir das Lebenslicht ausblies.